Annakirchle

DAS ANNAKIRCHLE IN DER WIEHRE

Am Annaplatz steht die Annakirche – das Annakirchle, wie sie liebevoll genannt wird. So weit so einfach, sollte man meinen. In Wahrheit ist das kleine Barockkirchlein aber den frühchristlichen Märtyrern Cyriak und Perpetua geweiht. Beide Heilige sieht man beim Eingang der Kirche, zuseiten des Turms, als große Skulpturen: der heilige Diakon Cyriak hält einen Palmzweig zum Zeichen seiner Blutzeugenschaft. Perpetua wird mit einem Löwen dargestellt – der Legende nach wurde sie von wilden Tieren, eigentlich Kühen, getötet. Die beiden Figuren, die in typisch barocker Ergriffenheit ihre rechte Hand zum Herzen führen, hat der Freiburger Bildhauer Anton Xaver Hauser um die Mitte des 18. Jahrhunderts geschaffen, zu der Zeit, als auch das Kirchengebäude entstand.

Wer nun denkt, es hätte vorher vielleicht eine andere, der hl. Anna geweihten Kirche am Platz gegeben, und das Märtyrerpärchen hätte die Mutter Mariens als Patronin verdrängt, irrt. Aber nur teilweise. Tatsächlich gab es drei Vorgängerkirchen der heutigen Kirche. Auch diese waren jedoch nie der hl. Anna geweiht – allerdings der hl. Einbeth, einer heute in Vergessenheit geratenen Märyrerin aus dem Gefolge der hl. Ursula. In Straßburg soll die Heilige ihr Martyrium erlitten haben, von dort aus verbreitete sich auch ihre Verehrung. Ab dem 13. Jahrhundert verdrängten Cyriak und Perpetua allmählich die ursprüngliche Patronin.

Die Einbethkirche war wohl die erste Pfarrkirche der Siedlung Adelhausen, einer landwirtschaftlich geprägten Siedlung am Fuße des Schlierbergs (heute Lorettoberg). Diese Siedlung entstand deutlich früher als das von den Zähringern gegründete Freiburg. Im Jahr 1008 wird die Siedlung, ebenso wie die nahe der Dreisam gelegene Siedlung Wiehre, in einer Königsurkunde für den Basler Bischof als Grenze eines Wildbanns erwähnt. Erst ab dem 17. Jahrhundert werden die beiden Siedlungen unter dem Namen Wiehre zusammengefasst.

An die Einbethkirche lagerten sich um 1234 Klausnerinnen an, die hier – vor den Mauern der damals noch jungen Stadt Freiburg – in frommer Gemeinschaft leben wollten.  Durch die Stiftung eines Freiburger Bürgers kam es zur Gründung eines Frauenklosters, das dem Dominikanerorden unterstellt wurde. Das Kloster Adelhausen, das ungefähr 200 m nordwestlich der Pfarrkirche gelegen haben dürfte (Höhe Goethestr.), besaß umfangreichen Grundbesitz und zeichnete sich durch ein reges Geistesleben aus.

Die Siedlung Adelhausen/Wiehre geriet schnell in Abhängigkeit von der Zähringerstadt, wahrte freilich noch lange eine gewisse Eigenständigkeit. Anders als die Stadt blieb die vorstädtische Siedlung jedoch unbefestigt – was in der kriegerischen Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts ihr Verhängnis werden sollte.

Mit dem Dreißigjährigen Krieg folgte eine über hundert Jahre andauernde Zeit der kriegerischen Auseinandersetzung, in der Freiburg Zankapfel zwischen den Habsburgern und der französischen Krone war. Zwar wurde die Pfarrkirche der Wiehre nicht direkt durch den Krieg zerstört, musste jedoch jeweils für die Kampfhandlungen und die Verteidigung der Stadt weichen. Auch die Frauenklöster im Freiburger Umland und in den Vorstädten wurden beim Bau der barocken Befestigung rund um Freiburg niedergerissen und unter dem Namen Adelhauser Neukloster innerhalb der barocken Stadtbefestigung neu errichtet – so blieb der alte Siedlungsname Adelhausen mit dem Frauenkloster verbunden.

Dreimal wurde die Pfarrkirche der Wiehre zerstört – beim zweiten Wiederaufbau wurde sogar ein Ortswechsel in nordwestlicher Richtung ausprobiert, der jedoch auch keine Vorteile brachte: Auch diese Kirche wurde zerstört. Erst mit dem endgültigen Abzug der Franzosen und der Schleifung der Festung 1745 war es möglich, die Kirche aufzubauen, diesmal wieder an ihrem angestammten Platz.

Den Entwurf der Kirche besorgte im Jahr 1753 Stadtbaumeister Johann Baptist Häring. Ausgeführt wurde das Kirchlein durch Münsterwerkmeister Joseph Schauberger, der mit seinem Kostenvoranschlag die Konkurrenz unterbot – allerdings nicht gut gerechnet hatte. Der Baufortgang geriet wiederholt ins Stocken und Schauberger musste am Ende um weitere Zahlungen bei der Stadt Freiburg, die die Baupflicht hatte, ersuchen. Vielleicht lag es an dem Kostendruck, dass das Dach des Kirchturms nicht solide gelang: Bereits 1791 wurde die renovierungsbedürftige Zwiebelkuppel abgebrochen und durch einen neuen, diesmal klassizistischen Turmhelm ersetzt.

Von außen ist St. Cyriak und Perpetua eine schlichte kleine Barockkirche. Der Turm ist halb in den Kirchenraum integriert und halb davorstehend, an der Fassade vermitteln tiefe Kehlen zu den Seiten hin. Im Inneren stellt sich die Kirche als einfache Saalkirche mit polygonalem Chor dar. Der Chor wird eingeschnürt durch einen Triumphbogen, was die Gelegenheit schafft, zu Seiten des Bogens große Nebenaltäre zu aufzustellen.

Die flache Holzdecke ist mit Stuck versehen, den der aus Wessobrunn stammende Stukkateur Franz Anton Vogel fertigte. Das große Mittelfeld sollte vielleicht ein Bild zieren, ist jedoch leer gelassen, die Rahmenprofile zu den Seitenwänden hin werden von großen blattartigen Formen überlagert, die sich jeweils aus C-Formen zusammensetzen: sogenannte Rocaillen, von denen sich der Name des Kunststils Rokoko ableitet. Nur die Rocaille am Triumphbogen ist mit Darstellungen gefüllt: den Wappen der Stadt Freiburg und der österreichischen Landesherren.

Hauptausstattungsstücke der Kirche sind die drei barocken Altäre. In der Barockzeit verschmelzen die steinernen Altäre und die Altarbilder zu einer großen, architektonisch gefassten Einheit. Wir sehen mächtige korinthische Säulen, gestuft aufgestellt, die ein Bild einrahmen, darüber Gebälk mit gesprengtem Giebel. Was wie edler Marmor wirkt, ist in Wahrheit freilich eine Holzverkleidung, die mit Gips in Form gebracht und marmorartig bemalt oder mit Stuckmarmor verziert ist.

Der Hauptaltar stammt aus der barocken Festung auf dem Schlossberg: Zum Oberen Schloss gehörte auch die Kapelle St. Pierre, die von den Franziskanern von St. Martin betreut wurde. Bei der Schleifung der Festung retteten die Franziskaner den Altar und verkauften ihn später an die Wiehremer Pfarrgemeinde – ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet die durch die Kriege so arg gebeutelte Wiehrekirche das einzige monumentale Zeugnis der Vauban’schen Schlossbergbefestigung bewahrt. Das Hauptbild des Barockaltars stammt jedoch aus späterer Zeit: Es ist die Kopie des oberen Teils der „Verklärung Christi“ von Raffael, die heute in den Vatikanischen Museen bewahrt wird.

Den modernen Zelebrationsaltar und das Lesepult schuf der Künstler Hans Günther van Look, von dem auch zwei moderne Glasfenster im Freiburger Münster stammen. Beim Hinausgehen aus der Kirche lässt sich im Turmerdgeschoss noch der Rest einer mittelalterlichen Skulptur bewundern. Zum Träger eines Weihwasserbeckens umgearbeitet ist dort ein Konsolstein mit figürlichen Darstellungen. Zu sehen ist neben Blumen und Ranken der Torso eines Mannes mit tailliertem Wams. Der Stein wird auf die Mitte des 14. Jahrhunderts datiert und ist vermutlich der letzte Rest der untergegangenen mittelalterlichen Pfarrkirche.

Und warum wird die Kirche Annakirchle genannt? Es ist der Platz, von dem dieser Namen ausging. Die Freiburger Adressbücher zeigen, dass ab 1900 der Platz um die Kirche Annaplatz genannt wird –  nicht nach der hl. Anna Selbdritt, sondern nach Anna von Sölden, der ersten Priorin des Klosters Adelhausen. Damit gehört der Annaplatz zu den frühen Freiburger Straßen und Plätzen, die nach einer historischen Frauengestalt benannt wurden. Und vielleicht ist es mehr als ein Zufall, dass diese Verbeugung vor einer kaum bekannten Vertreterin dieser alten Einrichtung weiblicher Frömmigkeit und Gelehrsamkeit ausgerechnet in dem Jahr erfolgte, in dem Frauen an den badischen Universitäten Heidelberg und Freiburg zum ersten Mal im Deutschen Kaiserreich offiziell zum Studium zugelassen wurden.

Praktischer Hinweis: Erreichbar ist der Annaplatz mit der Straßenbahnlinie 2 (Haltestelle „Lorettostraße“). Die Kirche ist nur bis zum Vorraum zu betreten, aber durch eine Glastür einsehbar.

Literatur:

Hermann Brommer: Freiburg im Breisgau. Katholische Pfarrkirche St. Cyriak und Perpetua. München/Zürich, 1980 (Schnell Kunstführer, Nr. 1216).

Peter Kalchthaler: Das barocke Annakirchle. In: 1000 Jahre Wiehre. Ein Almanach 1008–2008, Freiburg 2007, S. 122–127.

Joseph Ludolph Wohleb: Die alte Pfarrkirche von Wiehre-Adelhausen, die heutige Franziskanerkirche am Annaplatz zu Freiburg. In: Schau-ins-Land 61 (1934), S. 30–48.

Valerie Möhle

Mitglied im BVGD - Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e. V. - www.bvgd.org